Das Rechts-Ereignis

Wer sich im unternehmerischen Kontext um Compliance kümmert, also darauf achtet, dass Regeln sowie Recht und Gesetze eingehalten werden, hat dieser Tage interessanten Lesestoff erhalten. Gemeint ist ein Urteil des Landgerichts Hamburg, in dem es vereinfacht darum geht: Unternehmen egal welcher Größenordnung müssen, wenn sie auf ihren Webpräsenzen oder anderweitig Links zu externen Webangeboten setzen, sicherstellen, dass diese keine illegalen Inhalte enthalten. Basta! Wie und in welchem Umfang das zu geschehen hat, lässt die Judikative dabei völlig offen.

Der Rechts-Hintergrund

Manch einer mag jetzt aufschreien „typisch deutsch“, aber dem ist diesmal nicht so. Die Hamburger Richter haben dabei nämlich EU-Rechtsprechung umgesetzt. Denn im September diesen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil gefällt – übrigens  entgegen der Beurteilung der Sachlage durch den EU-Generalanwalt. Danach muss der- oder diejenige, der einen Link mit Gewinnerzielungsabsicht setzt (= mindestens alle Unternehmer), „… die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk nicht unbefugt veröffentlicht wurde“ (zitiert aus dem Beschluss zur Rechtssache C‑160/15, zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung zu finden auf der Webpräsenz des EuGH). Wie diese „erforderlichen Nachprüfungen“ auszusehen haben? „<Grundrauschen>“ – genau, keine Antwort von Seiten des EuGH.

Die (Rechts-)Folgen

Wer die Gefahr eines Rechtsstreites mindern will, muss sich wohl oder übel darum kümmern, dass die verlinkten Seiten rechtskonform sind. Ein bekannter Verlag aus der IT-Branche hat deshalb durch seinen Justiziar das Landgericht Hamburg angeschrieben. Das Landgericht wurde darum gebeten zu bestätigen, dass dessen Seiten rechtskonform sind. Dies rechtsverbindlich zu erklären kann oder will das Landgericht jedoch nicht. Pikanterweise gibt es bereits Forenbeiträge, in denen von möglichen Unregelmäßigkeiten bei Impressum und Datenschutzerklärung des Landgerichts die Rede ist.

Ok, also eine rechtsverbindliche Bestätigung wird wohl auch bei anderen Seitenbetreibern eher die Ausnahme bleiben. Was bleibt dann? Keine externen Links mehr setzen oder das Risiko in Kauf nehmen. Welches Risiko? Sich strafbar zu machen oder mit seinem Unternehmen der von Experten bereits befürchteten nächsten Abmahnwelle die Breitseite zu bieten. Denn selbst wenn man als Betroffener das Geld hätte, die rechtlichen Nachforschungen zu betreiben – woher wollen sie denn wissen, ob das, was sie getan haben, ausreichend ist? Kleine und mittelständische Unternehmen werden sich das nicht leisten können. Bei großen Konzernen geht das schon eher – also denen, die auch bei anderen EU-Themen wie CETA, TTIP usw am meisten profitieren.

Wenn wir also jetzt keine Links mehr setzen, dann führt dies das Konzept von Hypertext ad absurdum. Darauf basiert aber das World Wide Web. Manche Kommentatoren im Netz sprechen im Zusammenhang mit diesem Urteil von Einschränkungen in der Meinungsfreiheit oder ähnlichem. Außerdem vermute ich, dass alleine der Aufwand, Links zu entfernen oder durch alternative Angaben zu ersetzen, einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen wird.

Zum Glück für die meisten von uns hat das keine Auswirkungen auf unsere Internetsuche, denn wir googeln ja amerikanisch. Ein europäischer Suchmaschinenanbieter hätte jetzt vielleicht Probleme. Ich vermute jedoch, wenn er groß genug wäre, dann gäbe es für ihn bestimmt eine Ausnahme wie beim Provider-Privileg im Rahmen der Störerhaftung.

Das unverbindliche Fazit

Recht wurde gesprochen, Rechtssicherheit jedoch meiner Meinung nach nicht erzeugt. Dabei war ich bisher der, vielleicht naiven, Ansicht, dass Gerichte auch dazu da sind, Letzteres herzustellen. In einer losen Analogie könnte man jetzt auch sagen, das Gericht ist „shooting the messenger“. Ich befürchte, dass der richterliche Hammer, wenn sich daran nichts ändert, die „hervorstehenden Nägel“ der Digitalisierung und ihrer Begleiterscheinungen in das „Brett“ der traditionellen Rechtsnormen und Wirtschaftskonstellationen zurückhämmern wird.

Die Risken und Chancen muss jetzt jeder Unternehmer / Haftbare für sich abwägen und entscheiden. Wie wir entschieden haben, sehen Sie. Oder genauer gesagt eben nicht, denn die meisten externen Links sind weg. Interessant dürften die juristischen Kommentare zu diesem Urteil in den nächsten Wochen und Monaten sein.

Grund zum Jubeln gibt es für einige vermutlich dennoch: Den auf Abmahnungen spezialisierten Kollegen von der anderen Seite des Richtertisches haben die Damen und Herren in den Roben wahrscheinlich eine lukrative Steilvorlage geliefert.

 

Vielleicht hat sich der oder die eine oder andere schon mal gewundert, warum wir für unseren Blog keine Kommentarfunktion zulassen. Auch das hat mit EU-Recht zu tun – wir wollen uns einfach vor dem Missbrauch des Rechts auf Vergessen schützen.

 

Artikelbild: hammer-802296, (c) succo, Creative Commons CC0 1.0 de, Pixabay