Der Traum eines “Fahrroboters” oder: Automatisch ist nicht gleich autonom

In Diskussionen um selbstfahrende Autos werden unterschiedliche Begriffe benutzt: Manche sprechen von “Assistenten”, andere kündigen z. B. Stau-“Piloten” an. Wieder andere Berichte beziehen sich auf “automatische” oder “autonome” Fahrzeuge. Man könnte meinen, diese Begriffsvielfalt sei der Ungenauigkeit der Alltagssprache geschuldet. Oder verbirgt sich dahinter eine suggestive Marketingstrategie? In Wirklichkeit steht jeder dieser Begriffe für eine recht genaue Vorstellung, was ein selbstfahrendes Auto können soll – und was nicht. Da dies Konsequenzen auf Sicherheits- und Qualitätsmanagement hat ist es wichtig zu verstehen, was im jeweiligen Kontext gemeint ist.

Die Rolle des Fahrers

Cool Driver

Das Sicherheitsmanagement in der Automobilbranche kann inzwischen auf einige Jahre Erfahrung und eingespielte Vorgehensweisen aufbauen. Über viele Modelle, Testfahrten und Simulationen hinweg wurden Argumentationen und Nachweise gewonnen, die den heutigen hohen Sicherheitsstandard unserer Automobile begründen. In diesen Argumentation spielt der Fahrer eine wichtige Rolle.

Selbiger ist ja nachweislich dafür ausgebildet worden, ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Als solches ist der Fahrer also vertrauenswürdig. Daher geht man bei Bremse, Lenkung, Gaspedal usw. davon aus – so die Argumentation – dass der Fahrer etwaige Fehler am Fahrzeugverhalten bemerken und korrigieren kann. Oder aber er bekommt den Fehler vom System direkt signalisiert und kann sich darauf einstellen. Erinnern Sie sich? Sie drehen den Zündschlüssel um und sehen in den Armaturen viele bunte Lichtlein für ABS, Airbag und anderes kurz aufleuchten, dann alsbald erlöschen. Der Fahrer wird damit darüber informiert, dass

  • die Lämpchen funktionieren und – sollten sie nicht erlöschen – er oder sie sich nicht mehr auf die Funktion verlassen kann.
  • wenn eines dieser Lämpchen während der Fahrt aufleuchtet, die zugehörige Funktion nicht mehr verfügbar ist.

Die Grundregel für das Sicherheits- und Qualitätsmanagement heisst also: Informiere den Fahrer und sorge dafür, dass er immer lenken und bremsen kann. Der Fahrer wird damit zur einkalkulierten Sicherheitsinstanz, denn – so die Annahme – er kann immer korrigierend eingreifen.

Assistenzsysteme

Zwei_Steine

Betrachten wir moderne Assistenzsysteme am Beispiel der Assistenten für Spurhaltung und Abstand zum Vordermann. Die genauen Bezeichnungen sind herstellerspezifisch und hier nicht von Interesse. Diese Assistenten können bereits Gas geben oder Bremsen, also die sogenannte Längsführung beeinflussen. Auch Lenken ist in beschränktem Umfang möglich, man spricht hier von der Querführung.

Betrachten Sie einmal die Bedienungsanleitung Ihrer Assistenzfunktionen. Sie werden lesen, dass Sie als Fahrer auch weiterhin verantwortlich sind, und die Hände – wenn überhaupt – nur eine kurze Zeit vom Steuer nehmen dürfen. Sie müssen also den Straßenverkehr verfolgen, als würden Sie selbst fahren! Auch steht dort sicherlich, dass es ein Lämpchen gibt, welches die Verfügbarkeit der Funktion (also des Assistenten) anzeigt. Sehen Sie es? Sie als Fahrer – Assistenz hin oder her – sind in der Verantwortung. Ein Assistent erleichtert Ihnen das Fahren, aber mehr auch nicht.

Die Grundregel für das Sicherheits- und Qualitätsmanagement heißt nun: Informiere den Fahrer bei Nicht-Verfügbarkeit der Assistenzfunktion, damit er reagieren kann. Stelle sicher, dass Fehler in der Auswirkung vom Fahrer bemerkt werden. Und natürlich soll der Fahrer stets bremsen und lenken können und damit auch Vorrang haben.

Piloten

Drei-Steine

Bisher war noch nicht viel von Autonomie zu spüren. Richtig! Funktionen, die „Pilot“ genannt werden, sollen nun dem Fahrer etwas von seiner Verantwortung abnehmen. Entscheidend ist das Wörtchen „etwas“, denn eine Pilotfunktion hat klare Einschränkungen. Da wäre die Verkehrssituation, in der die Funktion überhaupt aktiviert werden darf: Ein Staupilot ist z. B. nur für die Stausituation gedacht. Jeder Hersteller wird vermutlich seinen Kunden eigene Definitionen anbieten, was ein Stau ist. Zulässiges Wetter und Art der Straße werden ebenfalls Beschränkungen unterliegen. Der Grund dafür ist, dass die heutige Technik ihre Grenzen hat.

Ist der Pilot nun aktiv, so ist es dem Fahrer erlaubt, das Steuer loszulassen. Längs- und Querführung erfolgt durch die Pilotfunktion. Auch muss der Fahrer nicht mehr lückenlos dem Straßenverkehr mit seiner Aufmerksamkeit folgen. Dies wird jetzt ebenfalls von der Funktion übernommen. Wunderbar, oder nicht?

Ganz wird der Fahrer als Sicherheitsinstanz nicht aufgegeben. Es mag eine Situation kommen, in der der Pilot nicht mehr weiter weiß oder gar nicht betrieben werden darf: Der Stau ist zu Ende, es ereignet sich ein Unfall, dichter Schneefall, und dergleichen mehr. In diesem Fall wird der Fahrer wieder benötigt und zur Übernahme der Verantwortung aufgefordert. Kurz gesagt: Eine Funktion mit dem Namen „Pilot“ kann Verantwortung übernehmen, aber nur für eine sehr eingeschränkte und definierte Fahrsituation. Die meiste Zeit ist der Fahrer halt doch noch unverzichtbar und „im Dienst“.

Die Grundregel für das Sicherheits- und Qualitätsmanagement dazu lautet: Teile dem Fahrer mit, wenn die Funktion aktiv ist (also er von seiner Verantwortung entlastet ist). Fordere den Fahrer zur Übernahme auf, wenn die Funktion nicht mehr aktiv sein kann. Im aktiven Zeitraum fahre sicher.

Sie sehen, hier ist nun ein Quantensprung gegenüber den vorherigen Fällen erfolgt. Der Fahrer tritt als Sicherheitsinstanz zurück! Der Grundsatz, wonach der Fahrer jederzeit Vorrang haben und selbst wieder fahren können soll, gilt aber auch hier.

Vollautomatisierung

Vier-Steine

Fahrzeuge, die hochautomatisiert sind, weiten nun den Nutzwert des Piloten weiter aus. Die Zahl der möglichen Verkehrssituationen wird weiter ausgedehnt und eine Fahrt von A nach B kommt in den Blick. Der Mensch, der im Auto sitzt muss immer noch ein Fahrer sein, aber er kann sich jetzt zu großen Anteilen der Fahrt anderen Dingen widmen. Während die Funktion aktiv ist, ist Längs- und Querführung Maschinensache.

Aber auch bei der Vollautomatisierung hat der Mensch noch eine Verantwortung. Es kann immer noch sein, dass in dem hochkomplexen Gefüge unseres Straßenverkehrs sich eine Situation ergibt, die auch diesem Automaten Schwierigkeiten bereitet. Schon Umweltbedingungen, die Sensoren zur Blindheit verurteilen, sind weiterhin begrenzende Faktoren. Und natürlich mag es auch jetzt technische Fehler geben. In solch einer Situation könnte der Mensch weiterhin noch gefordert sein, und wenn es nur wäre, um das Auto sicher anzuhalten. Kurz gesagt: Der Fahrer ist noch für die Situationen da, die der Automat einfach noch nicht beherrschen kann.

Unsere Grundregel heißt nun: Teile dem Fahrer mit, wann die Funktion aktiv ist und wann sie beendet werden muss. Fordere ihn zur Übernahme der Verantwortung auf, wenn es notwendig ist. Und immer noch gilt: Der Fahrer hat Vorrang und kann jederzeit übernehmen, wenn er das denn will.

Autonome Fahrzeuge

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Autonome Fahrzeuge sind nun das Ziel und Gegenstand aller in die Lüfte steigenden Träume, die davon sprechen, unsere Gesellschaft werde Mobilität ganz anders (er)leben. Im autonomen Fahrzeug ist kein Fahrer mehr nötig! Erst ein autonomes Fahrzeug ermöglicht es, alte Menschen, Kinder oder Menschen mit Behinderungen zu transportieren. Erst ein autonomes Fahrzeug muss alle Verkehrssituationen beherrschen, Sondersituationen inklusive. Sollte sich eine dramatische Entwicklung ergeben, muss das autonome Fahrzeug für die maximale Sicherheit aller sorgen und das Fahrzeug intelligent zum Stehen bringen.

Damit wird deutlich, das der Sprung von hochautomatisierten Autos zum autonomen Fahren keineswegs ein kleiner ist: Es ist nochmals ein Quantensprung, in der der Mensch die Verantwortung an eine Maschine abtritt. Sicherheits- und Qualitätsmanagement müssen hier mit einer nicht mehr überschaubaren Menge von Szenarien und Risiken umgehen. Der Fahrer ist keine Sicherheitsinstanz mehr, denn es sind nur noch Passagiere im Auto.

Die Taxonomie der Branche

Der „Verband der Automobilbranche“ (VDA) und die „Society of Automotive Engineers international“ (SAE) haben für die einheitliche Kommunikation ein Klassifizierungssystem entwickelt.

Die VDA Leistungsklassen sind auf der Seite des VDA beschrieben: https://www.vda.de/de/themen/innovation-und-technik/automatisiertes-fahren/automatisiertes-fahren.html. Dort werden auch weitere Informationen zu dem Thema angeboten.

Die SAE Taxonomie kann hier eingesehen werden: http://www.sae.org/misc/pdfs/automated_driving.pdf. Auf der Seite www.sae.org/autodrive sind weitere Informationen nachzulesen.

Beide Werke sind leicht unterschiedlich formuliert. In diesem Artikel haben wir die wesentlichen, zugrundeliegenden Kriterien angesprochen. Damit sollte eine gegenseitige Einordnung bzw. ein Vergleich leicht möglich sein. Die Kriterien sind:

  • Wer (Funktion/Fahrer) verantwortet Längs- und Querführung?
  • Wer (Funktion/Fahrer) verantwortet Verkehrsüberwachung?
  • Wer (Funktion/Fahrer) verantwortet Notsituationen?
  • Umfang der abgedeckten Betriebs- bzw. Verkehrssituationen.

Fazit

Sie sehen, autonom ist nicht gleich automatisch. Für das Sicherheits- und Qualitätsmanagement ergeben sich z. T. sehr unterschiedliche Anforderungen. Darum achten Sie stets darauf, von welcher Leistungsklasse Ihr Gesprächspartner spricht. Es könnte einen Unterschied machen !

Weiterführende Informationen
Seiten der genannten Organisationen
SAE international: http://www.sae.org
VDA : http://www.vda.de

Bildreferenzen, Bildquelle:

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